Karateverein Friedberg e.V.

Gemeinsinn in Schulen – Karate kann das

Selbstbehauptung, Bewegung und Gemeinsinn in Schulen – mit dem Karateverein Friedberg

An der Johannes Vatterschule in Friedberg gab es zwei stramme Soundkarate- und Selbstbehauptungswochenenden. Stramm deswegen, weil einer Mädchengruppe im Alter von 10 und 13 Jahren, verteilt auf 20 Stunden, ein möglichst nachhaltiges Training zum Thema Selbstbehauptung, Bewegung und Gemeinsinn vermittelt werden sollte. Das alles kann Karate.

Was war das besondere daran?

Die Johannes Vatter Schule ist eine Schule in Hessen mit dem Förderschwerpunkt Hören. In einem Jahrzehnt das für Inklusion steht, werden immer mehr Kinder auf wohnortnahen Schulen inklusiv beschult. Eine positive Entwicklung, eine Reaktion auf die Technik. Viele der hörgeschädigten Kinder sind zu Hause in ihrem lautsprachlichen Umfeld und nutzen weniger die Gebärdensprache. Aber was geht in diesen Kindern und Teenagern vor, wenn sie aus einem behüteten Kleinkindumfeld auf eine wohnortnahe Schule kommen? Auf dem Schulhof stehen sie einer neuen Realität gegenüber, in der sie sich selbst behaupten müssen.

Wie kam es dazu?

Hier kommt der Zufall ins Spiel. Bernhard Hohl leitet an der Johannes Vatterschule die Beratungsstelle. Er springt überall da ein wo es gilt interdisziplinäre Verbindungen zu schaffen. Friederike Arning ist Hörgeschädigtenpädagogin und für den Serviceclub Soroptimist International (SI) auf der Suche nach Projekten. Sie weiß wie stark dieses unsichtbare Handicap die Mädchen einschränkt. SI unterstützt benachteiligte Mädchen und Frauen. Zusammen mit der Schulleitung und Bernhard entwickelt sie die Idee, Selbstbehauptungstraining anzubieten. Zufällig trainieren ihre Töchter und ihr Mann im Karateverein Friedberg. Was lag da näher als den Verein mit ins Boot zu nehmen? Die Schulsportbeauftragte des Hessischen Karateverbandes, Elke Tischer, ist auch in Friedberg Trainerin und leitet eine Kindergruppe. Irgendwie stiftet das Gemeinsinn. Zwischen Tür und Angel wird das erste Treffen vereinbart. Auf dem Tisch stehen 3 Gläser Wasser, Kalender werden gewälzt. Bernhard und Friederike haben Zielvorstellungen und Elke hat Notizen aus der DKV-Ideenwelt Soundkarate, Karate, Gewaltprävention, Selbstbehauptung und Selbstverteidigung mitgebracht. Die Elternvereinigung hörgeschädigter Kinder in Hessen e.V. setzt sich seit über 50 Jahren für die Stärkung hörbeeinträchtigter Kinder ein. Sie war als offizieller Veranstalter mit dabei und hat die Teilnahme der Kinder unterstützt. Assistierend für die gewünschte Fallschule sollen Martin Tischer (Trainer Ju-Jutsu 3. DAN) und Elena Händel (Lizenz Soundkarate) als Trainerin dazu kommen. Alle können es kaum erwarten, dass es los geht.

Könnt ihr mich alle hören?

„Ja“. Eltern, Inklusion und Technik hatten für hörbar ideale Voraussetzungen gesorgt. Und jetzt bitte alle mal umdrehen, „könnt ihr mich immer noch alle hören?“ „Ja“. Spontan und einvernehmlich entschloss sich die Gruppe, die großzügig installierte Lautsprecherraumanlage per Knopfdruck nicht anzuschalten, das Mikrophon am Karate-Anzug wurde wieder abgeknipst. Das passt super, hier beginnt die Selbstbehauptung, wie komme ich ohne Hilfe oder Hilfsmittel zurecht. Praktische Übungen dazu Spiele und Rollenspiele nach dem Ampelprinzip, durch Theoriephasen unterbrochen, lockten die Mädchen aus ihrer gewohnten, zum Teil auch stillen Zone. Eine wichtige Erkenntnis war den freudigen Gesichtern bei steigendem Mut zu entnehmen: Mit meiner Stimme und dem Einsatz von Körpersprache kann ich Grenzen neu definieren und diese für andere sichtbar machen. „Aber was ist wenn die Ampel bei gelb nicht stehen bleibt sondern rot wird?“ Der folgende kurze Teil gab Einblicke in eine realistische Selbstverteidigung (Gedan Barai, Teisho). Karate kann das ganz dolle. Zur Einführung in die Karatewelt weckte eine geschichtliche Veranschaulichung mit Bildern und Regeln erste Neugier.

Was ist Do und welche Tradition steckt dahinter? Noch saßen alle im Halbkreis, an der Wand hingen Meister Funakoshi und eine Landkarte. Dann gelang es mit dem Video unserer 3 Weltmeisterinnen auf der Leinwand, dem Bogen die richtige Spannung zu verleihen. Jetzt wollte jede einmal Karate ausprobieren. Angefangen mit Grundschultechniken im Zenkutsu Dachi, dazu Variationen mit Mawate, näherte sich die Gruppe einem ersten Gesamtbild: Der ersten Kata Taikyoko Shodan. Geduld und Euphorie waren im ständigen Wechsel. Alle Mädchen haben schwer gearbeitet. Eine enorme Koordinationsleistung, ein großes Lob an alle Teenager. Interessanterweise hatte sich nach einer allgemeinen Zustandszwischenumfrage herausgestellt, dass nicht nur das Schnitzel in der Mittagspause sondern auch die ausgeschaltete Lautsprecherraumanlage ein gutes Stück mehr Konzentration einfordert! Für etwas Amüsement im Austausch mit der Kumitesäule sorgten die auflockernden Farben des Soundkarateequipments. Wackelige Ständer mit blauen und roten Bällen, Slalom laufen, hüpfen. Dieses waren alles Prüfungsbestandteile des 9.Kyus Soundkarate. Es fehlte nur noch eine ordentliche Judorolle. Wie man richtig fällt wurde schrittweise von Martin Tischer gezeigt. Im abschließenden Fallschulabschlussparcour brachten alle Mädchen noch einmal Höchstleistung.

Wie geht es weiter?

Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Die Johannes Vatter Schule betreut in Hessen ca. 320 inklusiv beschulte Schüler und Jugendliche Schüler in 6 Landkreisen. Die nächsten Wochenenden sind für das Frühjahr 2019 geplant. Soundkarate ist die Antwort auf das ausgesprochene Kampfsportverbot in Hessens Schulsport (Techniken deren Schläge und Tritte auf den Körper wirken). Eine Antwort auf die Fragen, die sich auf der Suche nach der geeigneten Trainingsform ergeben, findet jeder Interessierte im „DKV Sound-Karate im Schulsport“ Leitfaden.

(Elke Tischer)